Geschichtliche Entwicklung


 „Unsere Produkte sind mehr als nur Lebensmittel.

Sie sind ein Zeichen des Widerstands gegen die Macht der Mafia.

“ (Pater Luigi Ciotti, Gründer von „Libera“)

 

 

Die Mafia als System

Was in Deutschland nur als peripheres Problem wahrgenommen wird – die Macht des organisierten Verbrechens - hat für die Menschen auf Sizilien und anderen Teilen Italiens bittere Konsequenzen für den Alltag.

Begünstigt wird das System Mafia zum einen dadurch, dass z.B. Sizilien und Apulien zwei der strukturschwächsten Regionen Europas sind. Die Arbeitslosenquote für junge Menschen ist sehr hoch, und der Sozialstaat in Italien greift hier kaum. So sind Armut und die vermeintliche Abhängigkeit von Gefälligkeiten, etwa der Beschaffung von Arbeit, Faktoren, die die verschiedenen Mafia-Organisationen am Leben erhalten. Auf der anderen Seite stehen gut ausgebildete Personen in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen, die sich von der Zusammenarbeit mit der Mafia Vorteile versprechen.

 

Gleichzeitig haben sich die verschiedenen italienischen Mafien (Cosa Nostra, Camorra etc.) global ausgebreitet und sind international – auch in Deutschland – aktiv.

 

Der Kampf gegen die Mafia

Immer wieder hat es mutige Menschen gegeben, die sich der Mafia entgegenstellten und dies häufig mit ihrem Leben bezahlten.

 

Die Attentate auf die Richter Falcone und Borsellino in den 90er Jahren haben die Öffentlichkeit auf Sizilien eine Zeit lang mobilisiert, aber es fehlten langfristige Perspektiven, die auch eine wirtschaftliche Alternative zur Mafia darstellten.

Libera Terra

 

 

 

 

 

Libera Terra – befreite Erde


Mit dem Projekt Libera Terra gibt es Hoffnung.

Ermöglicht wird dies durch die Kombination zweier Gesetze: Das Pio-La-Torre-Gesetz erlaubt dem Staat, Personen schon bei dem begründeten Verdacht auf Mitgliedschaft in der Mafia zu enteignen. Ein weiteres Gesetz ermöglicht, die konfiszierten Güter zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Nutzung zu überlassen.

Darauf basierend wurden seit 2001 auf Initiative des katholischen Priesters Don Luigi Ciotti auf Sizilien und in anderen Regionen Italiens Sozial-Kooperativen gegründet, um gerade jungen Menschen eine Perspektive in einem legalen Lebensumfeld jenseits der Mafia zu bieten.

Das Label „Libera Terra“ wird von der zivilgesellschaftlichen Organisation Libera an diejenigen Kooperativen vergeben, die dem Kriterienkatalog von Libera entsprechen.

Zu den ethischen, technischen, sozialen und Qualitätskriterien gehört selbstverständlich, dass die Kooperativenmitglieder keine Kontakte zur Mafia haben dürfen. Dies wird polizeilich überprüft. Aber auch Umweltschutz, faire Bezahlung und Behandlung der Arbeiter, organischer Anbau und hohe Produktqualität gehören ebenso dazu wie soziale Aktivitäten. Gleichzeitig haben die Kooperativen auch die Aufgabe, Menschen mit Behinderungen die Mitarbeit zu ermöglichen und die konfiszierten Güter im Sinne des Allgemeinwohls zu bewirtschaften. Zudem sollen die Kooperativen in ihrem jeweiligen Umfeld Vorbildfunktion übernehmen und dadurch die Bauern mit unabhängigem Land davon überzeugen, sich ihnen anzuschließen und von der Mafia abzuwenden.

Die ehemaligen Ländereien der Mafia sind bei ihrer Übergabe an die Kooperativen häufig in einem Zustand desaströser Verwahrlosung und müssen mühsam wieder hergerichtet werden. Die Güter gehören nicht den Kooperativen selbst, sondern den jeweiligen Kommunen, die diese den Kooperativen überlassen.

Die Zeiten der spektakulären Attentate in Italien scheinen vorüber zu sein, aber die Mafien üben noch immer Gewalt in Form von Sachbeschädigung, Einschüchterung und Schutzgelderpressung aus.

Libera Terra Mediterraneo

Libera Terra Mediterraneo ist ein Kooperativenverband, von dem das Fair-Handelszentrum Rheinland seit 2010 Produkte importiert und in Deutschland vertreibt.

Zu ihm gehören neun Libera Terra-Sozial-Kooperativen in Sizilien, Apulien, Kalabrien und Kampanien, sowie einzelne Bauern, die mit den Kooperativen zusammenarbeiten.

Addiopozzo

 

 

 

 

 

Addiopizzo

 

Addiopizzo (wörtlich: Auf Wiedersehen Schutzgeld) ist eine Antimafia-Graswurzelbewegung, die 2004 in Palermo auf Sizilien gegründet wurde.

Zu dieser Zeit hatte eine Gruppe junger UniversitätsabsolventInnen die Idee, in der Stadt eine Kneipe zu eröffnen. Noch während sie an die Planungen gingen, platzte das wirkliche Leben in ihre Träume. Die furchtbarste Seite des wirklichen Lebens ist in Palermo die Mafia.

2004 war es für viele Ladenbetreiber und Unternehmer üblich, den Pizzo, das Schutzgeld, zu zahlen. Dieser stellt eine Art “Steuer” dar, die von Mafia-Familien erzwungen werden, um aus jeder ökonomischen Aktivität Geld herauszupressen, ihre Macht auszubauen und ihr “Territorium” unter Kontrolle zu halten.

Sich dem Pizzo zu verweigern, konnte Drohungen, Sachbeschädigung, Gewalt, sogar Tod bedeuten. Niemand rebellierte, niemand wollte darüber reden.

Niemand wollte ein toter Held werden wie Libero Grassi, ein Unternehmer, der erschossen wurde, weil er sich weigerte, Schutzgeld zu zahlen.

Nachdem der Gruppe bewusst geworden war, dass früher oder später der Tag kommen könnte, an dem die Mafia an die Kneipentür klopfen würde, entschieden sich die Mitglieder, folgenden Aufkleber zu drucken: “Ein ganzes Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde.” In der Nacht übersäten sie die Stadt mit den Aufklebern.

Dies war der Beginn eines Wandelns, der bis zum heutigen Tage anhält. Die Aufkleber brachten den Stadtbewohnern zu Bewusstsein, wohin ein Teil ihres Geldes beim Einkaufen ging und dass die Konsequenz daraus bedeutete, die Präsenz der Mafia im täglichen Leben des Einzelnen zu akzeptieren.

Die Aktionen mit den Aufklebern schufen die Bedingung für die weiteren Entwicklungen. In den nachfolgenden Jahren startete die Addiopizzo Bewegung eine Kampagne für ethischen Konsum analog zum Fairen Handel, der Läden und Unternehmen unterstützen sollte, die sich weigerten, Schutzgeld zu bezahlen. Unter dem Motto “Pago chi non paga” (Ich bezahle diejenigen, die nicht zahlen) sammelte die Kampagne eine steigende Anzahl von Unternehmern, die öffentlich bekannten, nicht an die Mafia zu zahlen und jeden Erpressungsversuch an die Polizei zu melden.

Zur Zeit sind es mehr als tausend Läden und Unternehmen, die der Addiopizzo Kampagne beigetreten sind. Das “mafia-freie” Netzwerk umfasst hunderte von Ladenbetreibern, die jahreslang Schutzgeld gezahlt haben und sich nun endlich mit der Hilfe von Addiopizzo und der Unterstützung der Behörden davon befreien konnten.

Als Addiopizzo anfing, wurde die Schutzgeldzahlung als normal, unvermeidlich und sozial akzeptiert angesehen. Nun gilt das nicht mehr. Nun gibt es einen Weg hinaus, und es ist möglich, diesen Weg zu nehmen und nur geringe Risiken dabei einzugehen.

Die beteiligten Läden bringen das Addiopizzo Logo in ihren Schaufenstern an, damit Konsumenten sie identifizieren können und um die Mafia fernzuhalten. Verschiedene Mafia-Mitglieder haben nach ihrer Verhaftung zugegeben, dass sie die Addiopizzo-Läden nicht aufgesucht haben, da sie sicher waren, dass diese nicht zahlen und die Polizei rufen würden.

Die Strategie von Addiopizzo ist sehr einfach: Schlagkraft durch hohe Mitgliederzahlen. Addiopizzo bekämpft die Isolation der Unternehmer, die mit Druck, Einschüchterung und Vergeltung durch die Mafia zurechtkommen müssen, indem sie sie mit einem unterstützenden Netzwerk von Kollegen, Konsumenten und beratenden Experten in Kontakt bringen.

Addiopizzo entstand aus einer Generation von Menschen heraus, die in ihrer Kindheit und Jugend unmittelbar die Gewalt erfahren haben, die von der Mafia verübt wurde: von den siebziger Jahren ausgehend, kulminierte diese in den Bomben von 1992-93, die unter anderen die beiden Staatsanwälte Falcone und Borsellino töteten. Beide sind Symbole für den Kampf gegen die Mafia. Ihre Ermordungen verursachten einen emotionalen Schock und hinterließen tiefe Narben in der Erinnerung Aller. Die Addiopizzo Bewegung und die Möglichkeit, für einen Wandel zu kämpfen, ermöglichen einen Weg der Heilung von dieser Wunde und eine neue Hoffnung für die Zukunft.

Addiopizzo unternimmt große Anstrengungen in der Bildung und arbeitet mit Kindern, Studenten und im Allgemeinen mit jungen Leuten. Die Freiwilligen helfen ihnen, ein kritisches Bewusstsein und eine zivilgesellschaftliche Denkweise sowie Werte der Gewaltlosigkeit zu entwickeln: diese sind die effektivsten “Antikörper” gegen die Mafia und die Mafia-Kultur. Gleichzeitig treibt Addiopizzo sozialen Wandel voran, indem das urbane Umfeld verbessert wird, um die Grundlage aus Armut und sozialer Benachteiligung zu beseitigen, in der die Mafia Wurzeln schlägt und die sie verfestigt.

Je älter Addiopizzo wurde, desto mehr begannen die Medien und die internationale Öffentlichkeit, sich für seine Aktivitäten zu interessieren: Leute aus anderen Teilen Italiens, sowie von außerhalb hatten das Bedürfnis, die Kampagne zu unterstützen und zu ihr beizutragen. Eine Reise-Agentur, Addiopizzo Travel, entwickelte sich als eine Ausweitung der ethischen Konsumenten-Strategie gegen das Schutzgeld und hat als Fokus den Tourismussektor. Addiopizzo Travel bietet Urlaube und organisierte Reisen an, die Hotels, B&Bs, Restaurants, Bauernhöfe und Transportunternehmen einschließt, die gegen die Mafia rebellieren.

Zudem ist das erklärte Ziel, dem Reisenden das wahre Gesicht Siziliens zu zeigen, über und jenseits von Stereotypen und Touristenfallen.

Der Auftrag von Addiopizzo ist es, Menschen dazu zu bewegen, gegen die Herrschaft der Mafia aufzustehen, in der das Schutzgeld einen ihrer sichtbarsten Aspekte darstellt, und zu einer kulturellen Revolution beizutragen gegen das, was die Mafia repräsentiert: Gewalt, Lügen, Angst.

Im Gegensatz zur Mafia ist das Modell der Gesellschaft, das Addiopizzo zu verwirklichen sucht, das einer verantwortungsbewussten, friedlichen, tüchtigen Gemeinschaft, die sich auf Solidarität, gegenseitige Unterstützung und Gemeingüter gründet.

Ein Sizilien ohne Mafia ist möglich: wie der Staatsanwalt Giovanni Falcone zu sagen pflegte, ist die Mafia “ein menschliches Phänomen und wie alle menschlichen Phänomene hat sie einen Anfang und wird ebenfalls ein Ende haben”. Addiopizzo wird dazu beitragen, dass dieser Tag früher kommen wird, und sei es auch nur einen Tag früher. Wie jede lokale Initiative, kann das Modell einer verantwortungsbewussten Gemeinschaft, wie es Addiopizzo anbietet, auch anderswo nachgeahmt werden, wo es in Bezug zu den diversesten Problemen gesetzt werden kann und unerwartete Veränderungen in Gang setzen kann.

Im großen Ganzen, auf lange Sicht wird dies einen kleinen Anstoß in die Richtung einer faireren und friedlicheren Welt geben.

Mittlerweile gibt es für „schutzgeldfreie“ Unternehmen auch ein Zertifizierungslabel. Für das Fair-Handelszentrum Rheinland als Fair-Handels-Unternehmen gibt es für die Zusammenarbeit noch weitere Kriterien, die erfüllt sein müssen. Daher vertreibt es nur Produkte von Produzenten, die den Kriterien von Solidale Italiano entsprechen.

Solidale ItalianoAltromercato

 

 

 

 

 

Solidale Italiano Altromercato

Die italienische Fair-Handelsorganisation Altromercato hat mit der Marke „Solidale Italiano“ eine Produktlinie fair gehandelter italienischer Produkte eingeführt. Die Produkte mit dem Label Solidale Italiano werden in Italien von sozial- und umweltverträglichen Landwirtschaftsbetrieben hergestellt, die nach den Prinzipien des Fairen Handels, wie sie die World Fair Trade Organisation (WFTO) formuliert hat, arbeiten. Die Einhaltung der Kriterien wird vom WFTO-Mitglied Altromercato garantiert. Die von uns angebotenen Produkte von Solidale Italiano stammen von Sozial-Kooperativen, die konfiszierte Mafia-Ländereien bewirtschaften, sowie Kooperativen mit eigenem Land, die sich im Kampf gegen die Mafia (z.B. bei „Addiopizzo“, s.u.) engagieren und darüber hinaus besonderes soziales Engagement zeigen.

Die Produkte

Die Mitgliedskooperativen von Libera Terra Mediterraneo und die Produzenten von Solidale Italiano legen großen Wert auf den hochwertigen Anbau und die sorgfältige Verarbeitung ihrer Produkte. Erklärtes Ziel ist es, beste Qualität zu produzieren.

 

Die meisten Produkte sind aus kontrolliert biologischem Anbau.



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